„Die Stimmung ist kreativ“ – die WZ im WDR-Radio

Bild von THAM YUAN YUAN auf Pixabay

Auch das Schweizer Radio SRF und der WDR brachten Beiträge über die „Wiener Zeitung“. Im folgenden ein Transkript der fünfminütigen Sendung des WDR.

ANMODERATION:

Die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, die „Wiener Zeitung“, steht vor der Einstellung. 1703 gegründet und seit 1857 im Besitz des österreichischen Staates stehend, hat die „Wiener Zeitung“ in den 318 Jahren ihres Bestehens von allen großen Ereignissen des Weltgeschehens berichtet: von den Kriegserfolgen des Prinzen Eugen gegen die  Türken bis zur Hinrichtung Marie-Anoinettes, von der Wiener Revolution 1848 bis zum Wahlsieg Joe Bidens vor einigen Monaten in den USA. Jetzt möchte die Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz in Wien der traditionsreichen Tageszeitung den Todesstoß versetzen – doch in Österreich, nicht zuletzt in der Kulturszene, regt sich heftiger Widerstand. Aus Wien berichtet Günter Kaindlstorfer.

BEITRAG:

Gerald Schmickl, Blattmacher und leitender Redakteur der angesehenen Wochenendbeilage „Extra“, sitzt im Homeoffice und feilt an einem Text über den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Schmickl ist so etwas wie ein Urgestein der „Wiener Zeitung“. Seit den 70er-Jahren schreibt er für das Blatt.

OT Gerald Schmickl:

„Die Stimmung in der Redaktion ist zur Zeit geteilt. Einerseits ist man natürlich gedämpft. Wenn eine Einstellung droht, ist das natürlich. Auf der anderen ist die Stimmung sehr, sehr kämpferisch, sehr kreativ.“

Das Feuilleton war in den letzten eineinhalb, zwei Jahrhunderten stets das große Aushängeschild der „Wiener Zeitung“, die mit einer Verkaufsauflage von etwa 18.000 Stück alles andere als ein Massenblatt ist. Das Prestige des Kulturteils hängt auch mit den prominenten Mitarbeitern zusammen, die für die „Wiener Zeitung“ tätig waren und sind: August Kotzebue, Friedrich Hebbel und Ernst Krenek gehörten ebenso dazu wie die Schriftstellerin Marlen Haushofer und die bekannten Wiener Philosophen Isolde Charim und Konrad Paul Liessmann. Da nimmt es nicht wunder, dass es vor allem renommierte Kulturschaffende sind, die gegen die drohende Einstellung der weltältesten Tageszeitung Sturm laufen. In einem prominent besetzten Personen-Komitee rufen unter anderem Elfriede Jelinek, Franz Welser-Möst, Josef Hader und der Schriftsteller Michael Köhlmeier zur Rettung des Blattes auf:

OT Gerald Schmickl:

„Mit so einer großen Solidarität hätten wir nicht gerechnet. Es ist ein unglaublich breites Spektrum – von Kulturschaffenden bis hin zum Kardinal und zum Staatsoperndirektor. Also, das ist wirklich eine breite Zustimmung.“

Auch die Wiener Kommunikationswissenschaftlerin Petra Herczeg hat den Rettungsaufruf für das traditionsreiche Tagesblatt unterschrieben:

OT Petra Herczeg:

„Es ist natürlich ein einfaches Argument, zu sagen, es fehle an Geld. An Geld fehlt es immer. Die Frage ist, ob wir uns Journalismus – und damit auch die ,Wiener Zeitung‘ – in Zukunft leisten wollen….“

… und wie Qualitätsjournalismus in Zukunft finanziert werden kann. Die „Wiener Zeitung“, im Eigentum der Republik Österreich stehend, hat den größten Teil ihrer Einnahmen in den letzten Jahrzehnten vor allem durch Pflichtinserate lukriert, zu deren Schaltung Österreichs Unternehmen von Gesetzes wegen gezwungen sind. Bekannt gemacht werden da etwa Einladungen zu Hauptversammlungen oder die Jahresabschlüsse börsennotierter Unternehmen. Und diese Pflichtinserate sollen, wenn es nach der türkis-grünen Koalition am Wiener Ballhausplatz geht, demnächst wegfallen. Damit löst der wirtschaftsnahe Bundeskanzler Kurz ein Versprechen gegenüber der österreichischen Unternehmerschaft ein, damit bricht aber auch das Finanzmodell der „Wiener Zeitung“ in sich zusammen. Dass sich das Blatt auf dem heißumkämpften, vom Boulevard dominierten österreichischen Zeitungsmarkt behaupten könnte, glaubt zwischen Bregenz und Wien eigentlich niemand. Der Feuilletonist Gerald Schmickl will die Hoffnung allerdings nicht aufgeben:

OT Gerald Schmickl:

„Es wird im Moment an verschiedensten Konzepten gearbeitet. Es soll keine Tabus geben, verschiedene Modelle anzudenken – von öffentlicher Finanzierung im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Zeitung bis hin zu Genossenschafsmodellen oder Stiftungslösungen. Also, man kann sich da verschiedenste Modelle vorstellen. Man wird sehen, ob da was rauskommt.“

Gut möglich, dass das Schicksal der „Wiener Zeitung“ ein Omen ist für das, was demnächst auch auf andere europäische Tageszeitungen zukommen könnte. Das Geschäftsmodell Tageszeitung jedenfalls ist allenthalben in Bedrängnis. Man müsse, meint die Medienwissenschaftlerin Petra Herczeg, allmählich über öffentliche Finanzierungsmodelle für Qualitätszeitungen nachzudenken beginnen:

OT Petra Herczeg:

„Ich würde schon von einer demokratischen Medienpolitik sprechen, auch auf europäischer Ebene. Dass man sich überlegt: Wie kann Journalismus gefördert werden? Eigentlich geht es ja darum: dass Journalismus gefördert wird. Ich finde, es muss mehr in den gesellschaftlichen Diskurs eindringen, dass es ohne Journalismus nicht geht. Ohne Journalismus gibt es keine funktionierende Demokratie.“


Das sehen auch die Redakteurinnen und Redakteure der „Wiener Zeitung“ so. Von den Solidaritätsbekundungen, die zur Zeit über sie hereinbrechen – so wohltuend diese auch sein mögen – kann sich die kampfbereite Truppe allerdings nichts kaufen. Von irgendwoher müssen in Zukunft zehn bis fünfzehn Millionen Euro jährlich kommen. Ob da ein Plädoyer Abhilfe zu schaffen vermag, mit dem zwei prominente Wiener Journalisten vor kurzem an die Öffentlichkeit gegangen sind? Sie wollen die „Wiener Zeitung“ zum „Weltkulturerbe“ ernennen.

Ein Kommentar zu „„Die Stimmung ist kreativ“ – die WZ im WDR-Radio

  1. Es ist naiv zu glauben, dass unser Bundeskanzler an einer unabhängigen Berichterstattung interessiert ist. Das Gegenteil ist der Fall, wie es sich beim „Kurier“gezeigt hat.

    Es liegt an uns Lesern, den Fortbestand der Wiener Zeitung zu sichern.

    Der Besitz müsste breit gestreut und der Anteil auf einen geringen Betrag begrenzt werden.

    Ich wäre bereit, € 5000 für den Kauf der Wiener Zeitung beizutragen und ein Förderabo zum doppelten Preis abzuschließen.

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